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Nicht mehr hinnehmen

15 Mai

Noch vielmehr müssen aufstehen und sich wehren

Seit 2005 wird das Marburger Leuchtfeuer in der Universitätsstadt Marburg für herausragende Verdienste um soziale Bürgerrechte verliehen.

PreisvMit dem Marburger Leuchtfeuer 2015 würdigt die Jury Inge Hannemann als leuchtendes Beispiel für den Aufrechten Gang beim Einsatz für Soziale Bürgerrechte.Oberbürgermeister Egon Vaupel (SPD) drückte seine Freude darüber aus, gemeinsam mit der Humanistischen Union, diese besondere Marburger Auszeichnung an Inge Hannemann überreichen zu dürfen. „Sie passen ausgezeichnet zu deren Intention“, wandte er sich an die 11. Preisträgerin. Mehr als 50 Gäste aus Politik und Gesellschaft, kamen zum Festakt in den Historischen Rathaussaal und gaben der Veranstaltung einen würdigen Rahmen.

Egon Vaupel hob in seinen Worten an die Preisträgerin hervor, er habe all seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Marburger Stadtverwaltung stets mit auf den Weg gegeben, dass alle Gesetze, Richtlinien und Ausführungsbestimmungen einzuhalten seien, „aber die Entscheidungen, die wir am Ende zu treffen haben, müssen immer zugunsten der Menschen getroffen werden und mit keiner anderen Perspektive“. Trotz eines Zwischenrufes „Agenda 2010 und SPD“ vermied Egon Vaupel bei seinen Ausführungen zu erwähnen, dass es die Koalition von SPD und Grünen war, welche die Agenda 2010 und die damit verbundenen Hartz Gesetze auf den Weg brachten. Auch die Stadt Marburg hat durch die sogenannten Ein-Euro-Jobber, insofern ihren Nutzen, als dass diese sich z.B. der zusätzlichen Reinigung der Stadt annehmen (müssen).„Allein die Zunahme der Zahl der Sanktionen bis zum heutigen Tag zeigt, worauf der Schwerpunkt gelegt wird: Auf Maßregelung und Bestrafung“, stellte Inge Hannemann schon vor einiger Zeit fest. Damit sei der einstige Sozialstaat zu einer „Erziehungsdiktatur“ abgestiegen. Dieser Entwicklung wollte sie aus der Behörde heraus entgegentreten.

Als „Whistleblowerin“ hat Inge Hannemann die Öffentlichkeit über ungerechte Verhältnisse in den Job Centern und bei der Praxis des Umgangs mit Leistungsberechtigten aufgeklärt. Auch dabei bewies sie Mut und Rückgrat. Ohne ihre Zivilcourage hätte die Gesellschaft möglicherweise nichts erfahren über die – eines Sozialen Rechtsstaats unwürdigen – Auswüchse der Hartz-Praxis.

„Sie wollten“, so der Oberbürgermeister zu Inge Hannemann, „nicht mehr hinnehmen, was Sie als Auswüchse der Hartz-IV-Praxis im Umgang mit Leistungsbeziehern erlebten und das ist gut so“, betonte das Stadtoberhaupt auch bewusst gegenüber kritischen Stimmen im Vorfeld der Preisverleihung. „Denn ich habe Ihre Kritik nicht als Kritik an ihren Kolleginnen und Kollegen in den Job Centern verstanden, sondern als etwas, was wir von unseren selbstbewussten Bürgerinnen und Bürgern fordern: Zivilcourage. Hannemann habe aufbegehrt und sich einer Obrigkeit und deren Entscheidung widersetzt, so wie es mündige Bürger tun sollten“.“Sie haben dies getan für Menschen, die durch diese Entscheidungen in eine existenzielle Notlage gerieten – ein mutiger Schritt, das Marburger Leuchtfeuer ist bei Ihnen sehr gut aufgehoben“, richtete sich Egon Vaupel an die Preisträgerin.

Die Laudatio auf Hannemann hielt der Prodekan der Fakultät „Gesundheit, Sicherheit, Gesellschaft“ der Hochschule Furtwangen, Prof. Dr. Stefan Selke.

In seiner Würdigung ging Selke der Frage nach, „Was ist der Unterschied zwischen Verrätern und Enthüllern?“ Inge Hannemann sei, wie es Selke mit einem Sinnbild ausdrückte, „dem Monster des Bodenlosen begegnet“. Sie habe weder weggeschaut, noch sei sie vor Schreck weggelaufen.Menschen würden in unserer Gesellschaft permanent gedrillt. Inge Hannemann hätte sich diesem Drill widersetzt. Menschen die über Sanktionen abgerichtet würden, leben in ständiger Angst, alle Lebensbereiche würden diesem Drill unterworfen.
Natürlich gebe es in unserer Zeit für diese gesellschaftliche Entwicklung zahlreiche durch definierte Fachbegriffe wie „Erosion des Sozialstaates“ oder „Prekarisierung“. Diese Begriffe verbergen in ihrer vermeintlich objektivierten Sachlichkeit laut Selke, jedoch die zugrunde liegenden Skandale. Das Bild vom „Monster des Bodenlosen“ drücke die allgegenwärtigen Abbau-, Spar- und Disziplinierungsmaßnahmen aus, mit denen in diesem Land immer mehr Menschen existenziell in Bedrängnis gebracht würden. „Das allgegenwärtige Verdrängen, Verschweigen, Vertuschen konnte Inge Hannemann nicht ertragen“, hob der Laudator hervor und zitierte die Preisträgerin: „Ich bin raus, weil ich Missstände öffentlich gemacht habe. Es wäre nichts passiert, wenn ich Dienst nach Vorschrift gemacht hätte.“

Enthüllung setze eine Lüge voraus, ein bewusst gewolltes Täuschen. Verrat setze ein Geheimnis voraus, ein bewusst gewolltes Verbergen, stellte Selke fest und betonte:
 „Das Problem unseres Staates besteht darin, dass statt Menschlichkeit Recht zur Anwendung kommt. Die edelste Form von Menschlichkeit besteht aber im Verzicht darauf, Recht zu haben.“
Genau das zeichne Inge Hannemann aus:
Der praktische Verzicht darauf, Recht zu haben und stattdessen Menschlichkeit walten zu lassen. „Exakt für diese Lehre, für diesen Akt praktischer Enthüllung, für diese Form der Zivilcourage sind wir alle Inge Hannemann zu großem Dank verpflichtet. Ich glaube, unser Land braucht diese Form der Rebellion mehr als vieles andere.“

Inge Hannemann betonte in ihrer Dankesrede, von den Medien werde meist vorgegaukelt „Die Arbeitslosigkeit sinkt und die Wirtschaft boomt“. Angesichts der Anzahl der Beschäftigten im Niedriglohnsektor sehe Hannemann diese Berichte sehr bedenklich und grotesk. Auch wenn Studierende und Absolventen von einem unbezahlten Praktikum zum nächsten wechselten und all dies akzeptierten und sich anpassten. „Genau das müsst ihr eben nicht“, appellierte die Preisträgerin.

„Kämpft für eure Rechte und eine gerechte, faire Entlohnung.“

Abgeschaft

Das könne kein einzelnes Jobcenter verändern, das müsse durch die Bundesagentur für Arbeit, durch das Ministerium für Arbeit und Soziales und auch durch das Finanzministerium kommen, indem mehr Gelder zur Verfügung gestellt und nicht Jahr für Jahr gekürzt würden, machte Hannemann deutlich.

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„Wir brauchen Gelder, wir brauchen bessere Schulungen und wir brauchen Respekt auf beiden Schreibtischseiten.“ Hannemann wünschte sich, dass viel mehr Menschen aufstünden, dass gesellschaftliche Teilhabe für alle Menschen möglich sei, ohne Stigmatisierung, ohne Ausgrenzung. „Ich bin der Meinung, dass Grund- und Menschenrechte unverkäuflich sind und vor allem noch weniger verhandelbar. Dafür werde ich mich weiter einsetzen und auch weiter dafür kämpfen“, machte Hannemann abschließend deutlich.

Die Preisträgerin des Marburger Leuchtfeuers 2015 befindet sich in guter Gesellschaft mit herausragenden Persönlichkeiten wie der katholische Sozialethiker Prof. Dr. Friedhelm Hengsbach, der Forscher Prof. Dr. Dr. Dr. Rolf Schwendter, der Psychiater Prof. Dr. Horst-Eberhard Richter sowie die Journalistin Ulrike Holler, die langjährige Marburger Gewerkschaftsvorsitzende Käte Dinnebier, die Behindertenpädagogin Sabrye Tenberken und dem Sozialpädagogen Dr. Ulrich Schneider vom Paritätischen Gesamtverband in Berlin.

Ein Satz den jeder schon irgendwann einmal gehört hat: „Hannemann geh´ Du voran“ trifft voll und ganz auf die diesjährige Preisträgerin des Marburger Leuchtfeuers zu. Hinzuzufügen wäre, zu einer rundum gelungenen Veranstaltung, in der gedemütigte Menschen in den Mittelpunkt gestellt wurden,

dass die Welt noch viele „Hannemänner“ braucht…

Quelle Text Facebook: Freie Hartz IV Presse
 

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